Die Relevanz von kognitiven Fähigkeiten im Fußball

Die Professionalisierung der Athletik bei Sportlern ist mittlerweile nahezu ausgereift. Jetzt wird der Fokus umgelenkt auf die noch vielfältigen Potentiale des Gehirns. Joachim Löw beispielsweise sagt, dass es noch “unendlichen Spielraum” für die Entwicklung der Denk- und Wahrnehmungsprozesse gibt und dass diese in Zukunft intensiv geschult werden müssen um neben dem Körper auch den Kopf auf Topniveau zu bringen. Er fordert darüber hinaus, dass Fussballspieler, ebenso wie Schachspieler, bis zu zwanzig Züge im voraus planen sollen. Es geht also darum, dass sich Spieler schneller und besser in Spielsituationen entscheiden können.

Michael Löbbert, Sportmediziner und Neurologe bringt es auf den Punkt: “Die Quintessenz ist: Du brauchst nicht nur Sport, um die Kognition zu fördern, sondern auch kognitives Training, um sportliche Leistungen zu optimieren.” (Quelle: RP-Online)


Der Begriff „Kognition“ wird in der Sportpsychologie als ein Sammelbegriff für die Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Weiterleitung von Informationen innerhalb sportlicher Handlungen verwendet. Der Begriff zielt also auf die ersten beiden Punkte der Grafik ab: Situationswahrnehmung und Analyse (Wahrnehmen) & Gedankliche Lösung (Entscheiden).

Sportwissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass die kognitiven Fähigkeiten bei Sportlern der ausschlaggebende Faktor für Spitzenleistungen sind (Quelle: Williams, M.A., Davids, K., & Williams, J. (Eds.). (1999). Visual perception and action in sport. London: Routledge). Dabei sind die kognitiven Fähigkeiten der größte Unterschied zwischen Profi- und Amateursportlern. Profisportler erkennen Situationen und Spielmuster deutlich schneller als Amateursportler, was für die Antizipation im Fußball von entscheidender Bedeutung ist. Sie erkennen Bewegungsmuster von Mitspieler, Gegenspieler und des Balles und schätzen deren Abläufe überdurchschnittlich gut ein und entscheiden sich dementsprechend. Darüber hinaus wenden sie auch unterschiedliche Suchstrategien an. Das bedeutet, dass die Spieler je nach Situation die Wahrnehmung verändern können. Um taktische Muster im 11vs11zu erkennen, verarbeiten sie andere Informationen als in Mikrosituationen des 1vs1 oder 3vs3. Sie haben die Fähigkeiten die richtigen Informationen aufzunehmen, sich darauf gezielt zu fokussieren und überflüssige Informationen, wie Rufe von Außen oder auch Unebenheiten des Platzes zu ignorieren (Inhibition). (Quelle: Williams, A. M., 2000). 


In einer richtig wahrgenommenen Situation kann es sein, dass ein Spieler auf unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten stößt, wie in der unten abgebildeten Spielsituation. Er benötigt nun auch Entscheidungskompetenzen um eine der drei Handlungen auszuführen. Dribbling, Abspiel in die Tiefe oder Abspiel nach außen:

Um sich zu entscheiden ruft der Spieler gemachte Erfahrungen ab, die im Arbeitsgedächtnis des Gehirns liegen. Doch was sind Erfahrungen? Erfahrungen sind allgemein, die durch Wahrnehmung und Lernen erworbenen Kenntnisse oder Fähigkeiten. Auch beeinflusst in einer Spielsituation, wie häufig der Spieler eine mögliche Handlung bereits erfolgreich durchgeführt hat und wie diese emotional bei ihm verknüpft sind. Auch dies ist in seinem Arbeitsgedächtnis gespeichert.

Trifft ein Spieler eine Entscheidung bewusst, führt dies zu Zeitverzögerungen, da er Entscheidungen abwägen musste. 
Wenn ein Spieler hingegen Entscheidungen intuitiv, also unbewusst trifft, dann ist die Reizverarbeitung deutlich schneller und der Spieler handelt sofort. Dies ist häufig dann der Fall, wenn der Spieler diese Situationen schon häufig erlebt hat und seine Erfahrungen gar nicht mehr bewusst abrufen muss, sondern instinktiv trifft. Kommt dieser Spieler jedoch in noch komplexere Situationen, in denen er weniger Erfahrungen hat, verzögern sich auch bei ihm die Verarbeitungsprozesse und er entscheidet später. (Quelle: Miyake, Friedmann, Emerson, Witzki, Howerter & Wagner, 2000; Diamond, 2013)

Spieler müssen also vor immer neue Situationen gestellt werden, in denen sie komplexe Zusammenhänge schnell erkennen und dementsprechend handeln müssen. Die Fähigkeit zwischen verschiedenen Aufgaben mental zu wechseln nennt sich kognitive Flexibilität und befähigt den Spieler sich schnell auf neue Anforderungen ein- und umzustellen. Der Spieler mit diesen Fähigkeiten kann also bei veränderten Situationen mental flexibel und schnell zwischen Aufgaben wechseln. 

Die kognitiven Fähigkeiten setzen sich also aus drei Faktoren zusammen

kognitive Flexibilität – sich auf neue Spielsituationen einstellen
– Perspektive anderer Mitspieler einnehmen
– Entscheidungen treffen
Inhibition – Impulse kontrollieren
– Umgang mit Fehlern
– Aufmerksamkeit auf relevante Informationen lenken
Arbeitsgedächtnis – sich Regeln einprägen
– sich Kommandos merken
– strategisch denken und handeln

Quelle: Walk et. al, Wissenschaft, Praxis, Förderbeispiele 2013

Dr. Peter Görlich von der TSG Hoffenheim spricht davon, dass der Unterschied zwischen einem 18-jährigen NLZ-Spieler und einem Profi heute kaum noch körperlich sei, jugendliche Spieler jedoch in Spielsituationen bis zu 40% häufiger falsch entscheiden als die Profis. Deshalb sei es so wichtig die Wahrnehmungsfunktionen zu verbessern. (Quelle: Görlich, TSG Hoffenheim, Eigenstudie, https://www.digitale-exzellenz.de/smart-data-revolution-im-fusball/)
Der Großteil der Gedankenvorgänge wird im Fußball unbewusst und automatisiert getroffen, da viele Situationen bereits jahrelang trainiert worden sind. Wichtig ist laut Prof. Dr. Jan Mayer, dass das bewusste Denken, was deutlich anstrengender ist und längert dauert, in Zukunft schneller umgesetzt wird. (Quelle: Mayer, https://www.bdfl.de/images/ITK/2018/Mayer_2018.pdf)

Das Training der exekutiven Funktionen bekommt also eine besondere Bedeutung zugesprochen. Prof. Jocelyn Faubert und Lee Sidebottom von der Université de Montréal stellen in Ihrem Artikel für die DFB-Akademie jedoch fest, dass es bisher wenige Trainingsmittel gibt, auf die Trainer zurückgreifen können. (Quelle: Prof. Faubert, Sidebottom, 2019). Dies konnten wir nun mit RESWITCH ändern!

“Das Spiel wird immer schneller, die Räume immer kleiner. Wer handelt unter diesem Zeitdruck am schnellsten? Wer hat Lösungen parat? Das ist die Zukunft. Kognitive Bereiche, das muss man schulen in den U-Mannschaften”

Joachim Löw
Autor: Jonas Kumpan